Donnerstag, 23. Juni 2022
Immer noch die Heilige Familie
Warum inszenieren sich Familien auf Social Media? Als ein Grund für dieses Heischen um Aufmerksamkeit wird fehlende Anerkennung für Familienarbeit vermutet. Das ist sicher wahr. Ich kann mich so genau an die drei, vier Male im Leben erinnern, als mir tatsächlich ungefragt Anerkennung für unser Eltern-Sein geschenkt wurde, dass es etwas Besonderes sei muss, nicht täglicher Grundtenor.
Einen anderen Grund verstärkt Kellner-Zotz in ihrem Interview jedoch selbst: Die religiöse Überhöhung von Familie. Sie empfiehlt weniger Inszenierung und mehr zielloses, entspanntes Zusammensein (ha! Das hätte ich mit einer vierjährigen in der Trotzphase auch mal gern). Denn die Familie sei „zum letzten Rückzugsort in dieser hektischen Welt“ geworden.
Care-Arbeit ist aber oft anstrengend und die Familie dann alles andere als ein paradiesischer Rückzugsort. „Letzter Rückzugsort“ – das klingt spirituell. Die Bibel ist tatsächlich voller Metaphern für Gott, die einen Rückzugsort beschreiben: Gott ist die sichere Burg, der Fels, der Schild, bei Gott ist Ruhe, Geborgenheit, Befreiung. Von der Familie das zu erwarten, was Gott ist – dagegen ist es ja ein Kinderspiel, den Vergleich mit der Nachbarsfamilie zu gewinnen. Die Vergöttlichung von Familie als „letzten Rückzugsort“ führt mit dazu, dass Rechtfertigungsdruck und Inszenierungsdruck für Familien steigen.
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