Mittwoch, 14. September 2022
Faith Spaces Must Be Safe Spaces
In meinem Leben habe ich das besondere Privileg, etliche „safe spaces“ zu erinnern, in jeder Lebensphase gibt und gab es Orte, Zeiten wo ich sicher war und mich nicht fürchtete. Von einem solchen Ort mag ich erzählen. Denn dort ist vieles gewachsen, was mich bis heute begleitet.
Nach der Eingangstür die erste Tür rechts führt ins Team-Zimmer im Wohnheim für chronisch psychisch Kranke, wo ich mein FSJ machte. Dort gab es Schreibtische an der Stirnseite, eine Schrankwand links, zwei braune Sofas um ein flaches Tischchen für Besprechungen und einen Computertisch rechts in der Ecke. In der Schrankwand gab es ein Fach für Süßigkeiten, da roch es immer wunderbar nach Konditorei. Meine Kollegen liebten Schneckennudeln und ganz besonders „flammende Herzen“, die darin aber nie lagerten, sondern rasch vom Bäcker geholt wurden. Der Geruch war trotzdem da.
Was noch da war: Post-it-Zettel an allen möglichen Ecken des Raumes. Als ich einige Woche da war, hatte ich mir ein Bepperle an die Tür des Teamraums gemacht. Die sollte man beim Herausgehen immer schließen, was ich jedoch oft vergaß. „Tür!“, stand auf dem kleinen, gelben Zettel, als Erinnerung an mich. Meine Kolleginnen überraschten mich am nächsten Tag damit, dass alles, aber auch alles in dem Raum mit gelben Zetteln beschriftet war. Bloß eben auf Schwäbisch: „Kittel“ klebte an jeder Jacke, „Teppich“ an den Wolldecken. Aus NRW kommend waren für mich die ersten Wochen in Stuttgart sprachlich herausfordernder als der Schüleraustausch in die USA. Bewohner*innen und Team unterstützten mich nach Kräften, die neue Sprache zu lernen, bezogen mich mit ein. Da war wirklich gar keine Angst nötig, keine Sorge, ich war da und alle waren froh darüber. Beim Frühstück bat ich schon bald um „den Butter“ und ließ mir „das Gsälz“ reichen und es schmeckte.
Bei der Übergabe am Mittag kämpften wir im Teamraum manchmal gegen den Schlaf, besonders, wer auf den braunen Sofas saß und nicht auf einem herbeigerollten Schreibtischstuhl hatte es schwer. Wir kamen direkt vom Mittagessen im Speisesaal des benachbarten Altenheims. Das Essen war lecker dort, aber auch reichlich und schwer. Ein Mittagsschlaf wäre herrlich gewesen…Auch das war okay, und wir lachten miteinander darüber, wenn die Augenlider allzu schwer wurden.
Frisch vom Abi kommend hatte ich vorher nie etwas über psychische Krankheiten gehört oder Kontakte mit chronisch Kranken gehabt. Doch die Abläufe im Haus waren schnell zu lernen und meine Aufgaben konnte ich gut erfüllen. Ich sollte beitragen zu Tagesstruktur und Lebensqualität der Bewohner*innen. Frühstückstisch decken, Spaziergänge, Ausflüge, Kuchenbacken, Fitness, Einkaufen, Tanztee, Malen, Basteln und mit der Zeit auch Begleitung zu Arztbesuchen. Ich hatte vor nichts Angst, die ganze Luft in dem Haus war voller, nun ja: einerseits natürlich voller Zigarettenqualm, aber für mich auch voller Vertrauen.
Zu keiner Zeit sonst in meinem Leben habe ich einen so geregelten Tagesablauf gehabt wie damals – obwohl es Schichtdienst gab. Ich wusste, welche Straßenbahnen ich quer durch Stuttgart nehmen konnte, wann ich aus dem Haus gehen musste, um pünktlich anzukommen. Ich wusste, wie ich morgens als erstes die Kaffeemaschine anstellte und was ich an den Tagen machen konnte, an denen ich gerade kein weites Herz für die Bewohner*innen hatte, sondern mich lieber zurückzog. Es gab immer etwas aufzuräumen, zu beschriften, ein Protokoll abzutippen. Dazu stand in der Ecke des Teamraums der kleine Computertisch. Eine Tabelle in Word anlegen zu können, das machte mich damals im Team schon zur Computerexpertin. So schnell kanns gehen, in der Schule die schlechteste in Sachen Computer, im FSJ wurde ich um Rat gefragt. Wenn ich es nicht wusste, traute ich mich, auszuprobieren und wurde immer sicherer.
Als einzige im Team war ich in Vollzeit im Heim, 5 Tage die Woche, 8 Stunden pro Tag. Was mich dort erwartete, das wusste vorher nie. Jeder Tag brachte auch Überraschungen. In diesem einen Jahr meines Lebens aber hatte ich jeden Tag das Vertrauen, allem, was kommen könnte, gewachsen zu sein. Oder Hilfe zu erhalten.
Manche Tage brachten sehr große Herausforderungen. Wie der Tag, als mich die Kollegin fragte, ob ich eine Bewohnerin begleiten könne, ins Klinikum. Ihr Angehöriger sei dort gerade verstorben und noch könne man im Abschiedsraum zu ihm. Da schlug mir das Herz, als ich zusagte. Ich hatte noch nie einen Toten gesehen. Ich war überhaupt noch nie in dem Krankenhaus gewesen. Aber die Chance verstreichen lassen für die Frau, sich zu verabschieden? Nein, jetzt war ich gerufen, zum Krankenhaus zu fahren mit ihr, mich durchzufragen zum Abschiedsraum und dann dort zu improvisieren. Und so geschah es. Vor Ort wusste ich, was zu tun war. Bevor wir den Abschiedsraum verließen, fragte ich, ob ich noch ein Gebet sprechen soll. „Oh ja, bitte, des ghört so.“ Bis heute glaube ich, dass die Worte mir damals in den Mund gelegt wurden, wie einer Prophetin. Bei der Übergabe am nächsten Tag im Teamraum erzählte ich den anderen davon, dann biss ich mein flammendes Herz. Es schmeckte nach Butter und Zucker, nach Sicherheit und nach dem Leben, das ich mir gewünscht hatte.
Aus Jesaja 12:
2 Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. 3 Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Brunnen des Heils. 4 Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem HERRN, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist! 5 Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen!
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